Konfrontation mit dem Täter. . . Sinnvoll oder eher nicht?

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Wie geht es Euch, wenn Ihr daran denkt mit dem Täter konfrontiert zu werden?

Gerade bei innerfamiliären Gewalttätern kommt man meist früher oder später einmal in die Situation, dass man dem Täter gegenübertreten muss/sollte. . .

Sei es an einem Familienanlass, auf seinem Sterbebett, oder sonst auf irgend eine weise.

Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung schreiben. . .
Bis jetzt bin ich vor jeglicher Begegnung geflüchtet. Nur schon der Gedanke daran, Ihm gegenüber treten zu müssen, oder einen Telefonanruf von Ihm entgegennehmen zu müssen lassen mich innerlich total erstarren.

Ich bekomme von nahestehenden Menschen zu hören/fühlen. . .
Dass ich mich dem stellen soll. . .
Ihm bewusst werden soll, was er angerichtet hat. . .
Ich solle Ihn konfrontieren mit dem was früher war. . .
Schlussendlich wäre es am besten ich würde mit Ihm innerlich Frieden schliessen. . .
und so weiter.
Ich weiss dass diese Menschen es eigentlich gut meinen. . . Aber nicht die kleinste Ahnung haben, wie es in mir aussieht und was da alles passiert.

Wenn ich solche Dinge höre, fühle ich mich total überfordert, nicht verstanden, nicht gesehen (in meinen Nöten), schuldig, Hilflos und am liebsten würde ich schreien.

Denn bei einer Konfrontation wäre ich schlagartig das kleine Mädchen von früher, das sich innerlich erstarrt nicht wehren kann und allem hilflos ausgeliefert ist. 

Wann sollte man die Konfrontation machen?

Nur nach allersorgfältigster Vorbereitung!
Am besten nach einigen Jahren Missbrauchs- und Trauma-Therapie oder als Abschluss der Therapie.
Niemals ohne Sicherheits-Netz, z.B. Leute, die einen begleiten.

Niemals, wenn man noch in akuten Krisen steckt, oder in Dekompensationen oder Depressionen. Niemals, wenn man noch am Zweifeln ist. Man sollte den Missbrauch weitgehend verarbeitet haben und sich stark und lebenstüchtig fühlen.

Eine schiefgegangene Konfrontation kann einen im Heilungsprozess stark zurückwerfen. Deswegen ist gute Vorbereitung und professionelle Unterstützung unbedingt notwendig.

Womit muss man bei einer Konfrontation rechnen?

Mit Leugnen, Abstreiten, ja sogar mit "Gegenbeweisen" (die aber nicht stimmen müssen, weil man rein logisch betrachtet gar nicht beweisen kann, dass man etwas nicht gemacht hat. . . für einen derartigen Beweis bräuchte man eine lückenlose Video-Aufzeichung seines gesamten Lebens). Mit Tränen, mit Selbstdarstellung des Täters als das angebliche eigentliche Opfer, mit Gegenvorwürfen (insbesondere dass man die Familie zerstören würde), mit Verharmlosungen, und mit typischen Täter-Verdrehungen ("du hast es doch selbst gewollt und mitgemacht" etc).

Rechne mit allen Täter-Strategien, die u.a. in den folgenden Büchern beschrieben sind:

  • Deegener: Sexueller Missbrauch: Die Täter. Beltz Verlag 1995.
  • Karin Jäckel: Wer sind die Täter? Die andere Seite des Kindesmißbrauchs. dtv Taschenbuch 30528, 1996.

Das Lesen dieser (oder vergleichbarer) Bücher ist vor einer Konfrontation unbedingt anzuraten, da ohne Kenntnis der gängigen Täter-Strategien viel zu viel schiefgehen kann, wenn man sich nicht vorab darauf eingestellt hat.

Kann eine Konfrontation bei der Aufdeckung helfen?

Nein, überhaupt nicht.

Eine Ausnahme ist eventull nur dann möglich (aber längst nicht sicher), wenn Du extrem stabil und abgeklärt bist. Du musst in jedem Fall selbstsicherer und stabiler als der (mutmassliche) Täter sein. Ansonsten wird die Konfrontation mit Sicherheit schiefgehen. Nur unter dieser (von den meisten Betroffenen nicht erfüllten) Voraussetzung kann Dir eine Konfrontation eventuell einiges über den Täter und seine Strategien verraten. Ob Dir das viel hilft, ist eine andere Frage. Mache niemals eine Konfrontation, um aufzudecken oder Fakten herauszufinden! Täter sind so ziemlich die ungeeignetsten "Zeugen" ihrer eigenen Tat, die es überhaupt nur gibt!

Entscheidend ist nicht, ob der Täter "es" zugibt, sondern dass Du ihn mit Deinen Erinnerungen konfrontierst und er durch Dich unter Druck gerät, d.h. es nötig hat, sich zu rechtfertigen und die von Dir erinnerte Tat abzustreiten. Mache ihm klar, dass Du ihm dies niemals vergessen wirst und dass all sein Leugnen Dich nicht davon abbringen wird, an deine eigenen Erinnerungen zu glauben.

Einsicht, Reue oder dergleichen wirst du bei einer Konfrontation so gut wie nie erreichen. Eher wollen Täter umgekehrt, dass Du ihnen verzeihen sollst. . . lass Dich bloss nicht auf Schnellschüsse ein! Das kann auch eine versteckte Form der erneuten Machtausübung sein. Denke immer daran, dass Konfrontation etwas mit Machtausübung über den Täter zu tun hat, und daher fast alle Täter sich mit ihren meist infamen Mitteln (Manipulation etc) zu wehren bzw. versteckte Gegenangriffe zu starten suchen, mit denen sie wieder ihre alte Macht über Dich ausüben. Du solltest sicher sein, dass der Täter keine Macht mehr über Dich hat. Kein Druck ausüben kann, beispielsweise indem Du von ihm getriggert wirst und in alte Automatismen zurückfällst. Deswegen ist extrem gute Vorbereitung unerlässlich!

Was kann eine schiefgegangene Konfrontation bewirken?

Kurz und knapp: eine Retraumatisierung.

Viele Betroffene berichten, dass Sie durch eine gescheiterte Konfrontation in ihrem Heilungsprozess um Jahre zurückgeworfen worden sind.